Ernst Leitz aus Wetzlar und die Juden - Mythos und Fakten

Zur Emigration deutscher Juden 1933-1941

Inhaltsverzeichnis
Beate Kosmala
  Geleitwort
  Zivilcourage im Dritten Reich: Auswanderungshilfe für verfolgte Juden........................................................................................
9
Vorwort........... 13
Einleitung...... 19

Die Vertreibung der Juden aus NS-Deutschland und ihre Einwanderung in die Aufnahmeländer..

29

Wie erfolgte die Emigration?..........................................................................................................

39
Einwanderung in die USA .................................................................................................................................................... 41
Einwanderung nach Großbritannien........................................................................................................................................ 56
Einwanderung nach Palästina .............................................................................................................................................. 60
Einwanderung nach Brasilien................................................................................................................................................ 66

Die Geschehnisse im Einzelnen.......................................................................................................

67
Ludwig Seligmann in New York, der „Wohltäter von Wetzlar und Umgebung" ................................................................................. 67
Welche Mittel und Wege standen Ernst Leitz zur Verfügung? ..................................................................................................... 76
Wie vielen jüdischen Emigranten hat Ernst Leitz geholfen?......................................................................................................... 83
Wie groß war die persönliche Gefährdung von Ernst Leitz bei der Unterstützung von Juden?............................................................. 85
Der Fall Alfred Türk............................................................................................................................................................ 91
Dr. Elsie Kühn-Leitz, die Tochter........................................................................................................................................... 100

Kurzbiografien jüdischer Emigranten denen Ernst Leitz half..........................................................

105
Jüdische Emigranten, die Ernst Leitz in Wetzlar ausbilden oder beschäftigen ließ ..............................................................
105
Fabian Riesel..................................................................................................................................................................... 105
Robert Sternberg............................................................................................................................................................... 106
Jüdische Emigranten, die in den Leitz-Filialen New York oder London angestellt wurden....................................................
108
Dagobert Hörn mit Ehefrau Anna........................................................................................................................................... 108
Rosa Gertrude Salomon ...................................................................................................................................................... 109
Julius und Eise Huisgen........................................................................................................................................................ 111
Nathan und Eise Rosenthal II Sohn Paul und Tochter Gertrud...................................................................................................... 115
Kurt Rosenberg.................................................................................................................................................................. 119
Carl Arno Brinkmann mit Ehefrau Anna und den Kindern Klaus, Karin und Ruth................................................................................. 126
Hans Martin Hammerschlag und Gertrud Hammerschlag.............................................................................................................. 128
Lotte Goldschmidt ............................................................................................................................................................. 130
Oskar Soetbee................................................................................................................................................................... 130
Jüdische Emigranten, denen Ernst Leitz Empfehlungsschreiben ausstellte..........................................................................
131
Leo und Jettchen Brenner mit den Söhnen Alfred und Kurt.......................................................................................................... 131
Hans Heinrich und Alice Ehrenfeld und die Söhne Kurt und Paul.................................................................................................... 132
Gustav und Malwina Ehrenfeld mit Tochter Marianne................................................................................................................. 136
Jüdische Emigranten, die finanziell unterstützt wurden ....................................................................................................
138
Heinrich Steiner ................................................................................................................................................................ 138
Ewald und Nora Schindler mit Tochter Veronika und Sohn Andreas............................................................................................... 143
Hugo und Lina Strauss........................................................................................................................................................ 144
Jüdische Emigranten, denen Ernst Leitz auf andere Art und Weise half..............................................................................
144
Gerda Rosenthal................................................................................................................................................................. 144
Joseph und Margarethe Rosenthal......................................................................................................................................... 146
Dr. med. Aaron Strauss und Ehefrau Betty.............................................................................................................................. 147
Marie-Luise Deutsch........................................................................................................................................................... 155
Sonstige jüdische Emigranten im Umfeld von Ernst Leitz ...................................................................................................
156
Jakob und Johanna Rosenthal............................................................................................................................................... 156
Stefan und Leonie Rosenbauer.............................................................................................................................................. 160

Schlussbemerkungen......................................................................................................................

161
Monika Kingreen
  Nachwort.......................................................................................................................................................................
171
Abkürzungsverzeichnis......................................................................................................................................................... 174
Interviews, Gespräche, Mitteilungen ...................................................................................................................................... 176
Literaturverzeichnis ........................................................................................................................................................... 177
Bildnachweis...................................................................................................................................................................... 181
Sachregister...................................................................................................................................................................... 183

Vorwort und Einleitung (Leseprobe)

Für den Triumph des Bösen reicht es,
wenn die Guten nichts tun.
EdmundBurke (1729-1797)

Vorwort

Etwa sechs Millionen Juden und schätzungsweise 250 000 Sinti und Roma wurden bis Ende des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten und ihren Kollaborateuren ermordet.1 Von den circa 566 000 Juden, die bei Hitlers Machtantritt in Deutschland gelebt hatten, wurden rund 200 000 Opfer der NS-Vernichtungspolitik. Unter ihnen waren Tausende, die im Vorfeld der Deportationen an die Mordstätten Selbstmord begingen.

Die Zahl der jüdischen Emigranten, die Deutschland zwischen 1933 und 1941 verlassen mussten, betrug etwa 346 000, einschließlich der 98 000 Juden, die in die später von den Deutschen besetzten europäischen Länder auswanderten.2 Im Zeitraum zwischen Januar 1933 und der Schließung der amerikanischen Konsulate in Deutschland im Juli 1941 flüchteten rund 104 000 Menschen in die USA. Über 80 Prozent von ihnen waren Juden.3

Es gab aber auch Menschen, die während der NS-Zeit viele Juden bei ihrer Emigration unterstützten. Einer von ihnen war der Großunternehmer Ernst Leitz II in Wetzlar. Wer war dieser Mann, und was bestimmte sein Handeln? Zur Beantwortung dieser Fragen soll hier kurz auf seine Familiengeschichte und die Wurzeln des späteren Leitz-Konzerns eingegangen werden.

In Mittelhessen, etwa 80 km nördlich von Frankfurt am Main, befanden sich einst zahlreiche bedeutende Eisenerzgruben und Hüttenwerke. Einer der größten 
Montanunternehmer der Region, der Fürst zu Solms-Braunfels, besaß im 19. Jahrhundert Eisenhüttenwerke mit Gießereien, davon eines in Oberndorf, einem kleinen Ort zwischen Wetzlar und Braunfels. Hüttenverwalter war dort Philipp Albrecht Kellner, der Vater Carl Kellners (1826-1855), des späteren Begründers der optisch-feinmechanischen Industrie Wetzlars. Der Sohn hatte sich der Optik verschrieben und fertigte in seiner 1849 in Wetzlar gegründeten Werkstätte bis zu seinem frühen Tod 1855 anerkannt gute Mikroskope.4 Nach seinem Tod führte ein ehemaliger Mitarbeiter die kleine Werkstatt weiter. Im März 1864 trat Ernst Leitz I, aus Baden kommend, dort ein. Er hatte seit 1858 in Pforzheim bei Ludwig Christian Oechsle gearbeitet, dem Erfinder der „Oechsleschen Mostwaage". 1870 übernahm Ernst Leitz I die Werkstatt in Wetzlar mit 20 Optikern und Mechanikern. In den folgenden Jahrzehnten verschaffte er seinem Betrieb einen stetigen Aufschwung, insbesondere durch Rationalisierung und Arbeitsteilung in der Fertigung: Bis zum Jahr 1887 waren bereits 10 000 Mikroskope hergestellt worden, 1902 hatte die Firma 300 Mitarbeiter, 1923 - im Baujahr der ersten Serie der Leica-Kamera - 1591 Beschäftigte und 1939 bereits 3321 Angestellte und Arbeiter.5

Ernst Leitz I (geb. 26.4.1843 Schopfheim b. Lörrach, gest. 10.7.1920 Solothurn/ Schweiz) und seine Ehefrau Anna, geb. Löhr (geb. 23.4.1844 Wetzlar, gest. 2.6.1908 Wetzlar) hatten fünf Kinder: Ludwig (geb. 2.6.1867 Wetzlar, gest. 6.11.1898), Ernst Leitz II (geb. 1.3.1871 Wetzlar, gest. 15.6.1956 Giessen), Paula (geb. 12.6.1875), Ella (geb. 28.8.1876, gest. 27.9.1965 Meran)6 und Anna (geb. 31.8.1878)7

Leica1923 Ursprünglich sollte der älteste Sohn Ludwig die Nachfolge des Vaters Ernst Leitz I antreten. Nachdem Ludwig jedoch schon 1898 im 21. Lebensjahr durch einen Unfall verstorben war, übernahm der jüngere Bruder Ernst Leitz II nach und nach die Leitung des Unternehmens. 1924 entschied er gegen den Rat vieler Fachleute,8 die in seinem Werk neu entwickelte Leica9-Kleinbildkamera in Serie produzieren zu lassen. Damit schuf er einen Verkaufsschlager, der die Leitzwerke bald zum Weltmarktführer auf dem Sektor der Kleinbildkameras mit Wechselobjektiven machen sollte. Der Umsatz der Leitzwerke auf dem Fotosektor stieg später bis auf 70 Prozent des Gesamtumsatzes.10

Ernst Leitz II und seine Ehefrau Hedwig, geb. Wachsmuth (geb. 10. 11. 1877 Hannover, gest. 28. 4. 1937 Wetzlar), hatten vier Kinder: Elsie Anna Grace (geb. 12. 2.1903 Wetzlar, gest. 5. 8. 1985 Wetzlar),11 Ernst Alexander (geb. 16. 1. 1906 Wetzlar), Ludwig (geb. 28. 5.1907 Wetzlar, gest. 4. 7.1992 Wetzlar)12 und Günther (geb. 14.10.1914Giessen).

Ernst Leitz II13 hatte eine liberale und demokratische Grundeinstellung. Er war Vorstandsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei14 für die Provinz Hessen-Nassau und aktives Mitglied des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold",15 jener reichsweiten Vereinigung, die sich die Verteidigung der Demokratie auf die Fahne geschrieben hatte. Im März 1941 trat er jedoch in die NSDAP ein - allerdings wohl auf äußeren Druck, um sein Unternehmen vor Schaden zu bewahren.16 Auch er musste daher nach dem Krieg ein Spruchkammer-Verfahren17 durchlaufen, aus dem er jedoch als „Entlasteter" hervorging.18

Im Jahr 1998, bei den Recherchen zu meiner Studie „Zwangsarbeit in Wetzlar",19 bearbeitete ich seine Spruchkammer-Akten im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden zusammen mit denen der anderen Wetzlarer Rüstungsfabrikanten des Zweiten Weltkrieges. Seine Unterlagen enthielten neben Angaben zu den in seinem Unternehmen von 1942 bis 1945 beschäftigten Zwangsarbeiter/innen20 auch Hinweise darauf, dass er während der NS-Zeit deutsche Juden bei ihrer Emigration unterstützte.

Diese für meine damaligen Fragestellungen weniger relevanten Erkenntnisse gewannen erst später an Bedeutung bei den Recherchen über die Deportation und Ermordung der letzten Wetzlarer Juden,21 insbesondere im Hinblick auf die Fluchthilfe, die seine Tochter Dr. Elsie Kühn-Leitz 1943 einer in „privilegierter Mischehe"22 lebenden Wetzlarer Jüdin gewährte, um sie vor der Deportation in ein Vernichtungslager zu bewahren.

Den Anstoß zu der hier vorgelegten Arbeit gaben schließlich amerikanische Fotojournalisten, die im Herbst 2003 in Wetzlar sehr engagiert über einen „Leica Freedom Train"23 berichteten. Danach habe Ernst Leitz in den 1930er-Jahren Hunderten deutscher Juden zur Flucht in die USA verholfen und sie so vor der sicheren Vernichtung gerettet. Er sei der „Schindler der deutschen Fotoindustrie".

Erste Nachforschungen ergaben, dass diese Sichtweise damals bereits weltweit verbreitet war - allerdings hatte niemand historische Belege dafür vorgelegt. Die Angaben in den Spruchkammer-Akten von Ernst Leitz über die von ihm unterstützten Juden bildeten zwar den Ausgangspunkt meiner Untersuchungen, sie allein sind jedoch nur bedingt geeignet, sein Handeln in den 1930er-Jahren verlässlich zu bewerten, da sich in den Akten außer einigen Namen betroffener Personen und verschiedenen Ortsangaben keine weiteren Daten finden. Hinzu kommt, dass Spruchkammer-Akten insgesamt kritisch zu beurteilen sind, da einerseits die „Betroffenen" („Angeklagten") oft finanziell in der Lage waren, sich Mittel und Wege für ihre Verteidigung zu beschaffen, um die Beschuldigungen zu widerlegen. Andererseits hofften auch viele Zeugen - zumeist die einstmals Geschundenen und Gedemütigten - manche alte Rechnung begleichen zu können.

Die Recherchen zu dieser Arbeit nahmen mehr als fünf Jahre in Anspruch. Den Fortgang meiner Studien haben dabei immer wieder folgende Personen in besonderer Weise gefördert:24 Monica Kingreen, Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main, und Dr. Beate Kosmala, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, insbesondere mit der kritischen Durchsicht des Manuskriptes und zahlreichen Ergänzungen und wertvollen Hinweisen. Herrn Dr. Volker Eichler, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, sei gedankt für die stetige und nachhaltige Unterstützung meiner jahrelangen Archivarbeit in seinem Hause, und schließlich gilt mein ganz besonderer Dank dem Wetzlarer Museumsdirektor i. R. Hartmut Schmidt in Neuss für die zahlreichen förderlichen Gespräche. Rina Eilon in Jerusalem danke ich sehr herzlich für die Erlaubnis zur Verwendung verschiedener Zeitdokumente aus ihrem Privatarchiv.

Wetzlar, im März 2009    Karsten Porezag

Einleitung

Leitz1943 Im Jahr 2003 ging eine Nachricht um die Welt: „Der deutsche Unternehmer Ernst Leitz II, der Hersteller der Leica-Kamera, hat in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Hilfe seines ,Leica Freedom Train' unter großen persönlichen Gefahren Hunderte von deutschen Juden vor der sicheren Vernichtung gerettet."25 Die amerikanische „Anti-Defamation-League" (ADL)26 verlieh ihm daraufhin posthum am 9. Februar 2007 in Palm Beach/Florida ihren „Courage to Care Award". Die Begründung dazu lautete: „Deutscher Gründer des Leica Kamera-Freedom Train geehrt für die Rettung hunderter Juden vor den Nazis. [...] Der deutsche Eigentümer der Gesellschaft, die Leica-Kameras fertigt, wurde [...] dafür geehrt, dass er vermutlich 200 bis 300 Angestellte und ihre Familien vor den Nazis rettete."27

In Wetzlar, dem Hauptort des einstigen Geschehens, wussten zu der Zeit aber nur Eingeweihte davon. Auch der Wetzlarer Geschichtsverein hatte sich mit dieser Sache bis dahin anscheinend noch nicht beschäftigt. So zeigten sich im Herbst 2006 Mitglieder der „American Leica Historical Society" bei einem Aufenthalt in der Stadt erstaunt darüber, „dass man hier den weltberühmten Leica Freedom Train nicht angemessen würdige, werde doch der Wetzlarer Unternehmer Ernst Leitz von Historikern des Holocaust wegen seines mutigen Handelns in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei der Rettung der Wetzlarer Juden vor ihrer Vernichtung als ,Schindler28 der deutschen Fotoindustrie' bezeichnet".29 Dieser Vergleich lässt aufhorchen, hatte doch Oskar Schindler zwischen 1942 und 1945 mehr als 1100 Juden aus dem Krakauer Ghetto vor der sicheren Ermordung gerettet.30

Was verbirgt sich hinter dem „Leica Freedom Train"? George Gilbert, ein amerikanischer Fotojournalist, formulierte dies so: „Ernst Leitz II, der stahläugige protestantische Patriarch der straff geführten Leitz GmbH, agierte - während der Holocaust Europa bedrohte - in einer Art und Weise, dass er den Titel ,Schindler der Fotografischen Industrie' verdient. Um seinen jüdischen Mitarbeitern und Kollegen zu helfen, etablierte er im Stillen etwas, das unter Historikern des Holocaust bekannt wurde als ,The Leica Freedom Train'. [...] Dieser erreichte 1938 und im Frühjahr 1939 den Höhepunkt, als Ernst Leitz alle paar Wochen Gruppen von Flüchtlingen nach New York leitete. [...] In jener Zeit entkamen durch seine Anstrengungen Hunderte vor der Gefahr geretteter Juden nach Amerika. [...] Warum hat bisher niemand diese Geschichte erzählt?"31

Nach Norman C. Lipton wollte die Familie Leitz keine Publizität für die „heldenhaften Anstrengungen" von Ernst Leitz. Erst nachdem die ältere Generation der Familie Leitz verstorben war, wurde die Geschichte des Leica Freedom Train wieder ans Licht der Öffentlichkeit gebracht.32 Später war George Gilbert gemeinsam mit Norman C. Lipton, einem ehemaligen New Yorker Leitz-Mitarbeiter, noch weiter gegangen: Sie behaupteten, die Familie Leitz habe außerdem auch Gewerkschafter, Homosexuelle und politisch Radikale unterstützt.33

Derartige Aussagen gehen zurück auf frühe amerikanische Publikationen: Bereits 1967 soll Lipton diese Geschichte dem Readers Digest angeboten haben. Etwa zehn Jahre später erschien ein Beitrag in einem Buch mit dem Titel „Illustrated World Wide Who's Who of Jews in Photography".34 Frank Dabba Smith, ein Londoner Rabbiner und Leica-Hobbyfotograf, veröffentlichte 1998 im „Journal of Progressive Judaism" einen Aufsatz mit dem Titel: „Ernst Leitz of Wetzlar and the Jews", in dem er auch über den „Leica Freedom Train" berichtete.35 Im April 2000 erschien eine deutsche Version davon in der Marburger Zeitschrift „Fotogeschichte".36 Im Mai 2002 veröffentlichte George Gilbert einen weiteren Aufsatz in den Mitteilungen der „Photographic Historical Society Of Canada" mit dem Titel: „The Hidden Leica Story".37 Im gleichen Jahr publizierte Frank Dabba Smith den Aufsatz „Ernst Leitz of Wetzlar and Altruism during the Holocaust".38 Diese Arbeit wurde später in den USA von George Gilbert unter dem Titel „The Leica Freedom Train" publiziert - offensichtlich mit eigenen Ergänzungen.39

Im Jahr 2005 veröffentlichte Frank Dabba Smith schließlich bei der „American Photographic Historical Society, New York", den Aufsatz: „The greatest invention of the Leitz family: The Leica Freedom Train."40 Spätestens jetzt waren auch europäische Medien auf die Sache aufmerksam geworden. Im August 2006 meldete das spanische Fotomagazin Elmundo es Suplementos: „Ernst Leitz, el angel de los judios que crea leica. Este Oskar Schindler de la fotografia. El tren dela libertad de Leica",41 und am 27. Februar 2007 titelte der italienische II Giornale: „Ernst Leitz, industriale tedesco ehe salvo centi dipendenti ebrei".42

Etwa zeitgleich berichteten erstmals auch deutsche Medien darüber. „Die Welt" titelte am 9. Februar 2007: „Unternehmer Ernst Leitz: Der andere Schindler [...] Der gute Mensch von Wetzlar [...] Erst jetzt deckt ein Rabbiner aus London seine Geschichte auf". Dieser Bericht von Thomas Kielinger basierte auf einem Interview mit Frank Dabba Smith. Damit wurde der Eindruck erweckt, Frank Dabba Smith selbst habe die Sache erst kürzlich durch eigene Recherchen aufgedeckt.43 Bereits eine Woche zuvor berichtete die „Financial Times Deutschland", nach Frank Dabba Smiths Aussage habe Ernst Leitz „mindestens 41 Juden geholfen, aus Deutschland zu fliehen [...] in bemerkenswerten Transportserien [...] und Konvois" und: „[...] er rettete Wetzlars Juden".44 Smith relativierte nun erstmals seine These, Ernst Leitz habe Hunderten Juden das Leben gerettet, aber der Leica Freedom Train spielte immer noch eine Rolle. In der Folge überboten sich die deutschen Printmedien förmlich. Mit dem Titel: „Leitz' Liste" schrieb die „Süddeutsche Zeitung" in ihrem Magazin am 16. Februar 2007, Ernst Leitz habe „in den 30er Jahren mindestens 41 Juden zur Flucht aus Nazi-Deutschland verhelfen und 23 Menschen vor einer Bestrafung gemäß den Rassegesetzen gegen Ehen zwischen Juden und Deutschen [sie!] geschützt".45 Am selben Tag schrieb die Münchner „Abendzeitung": „Der unbekannte Schindler. Ernst Leitz rettete Juden vor den Nazis - und keiner wusste es. [...] Erst jetzt wird bekannt, dass er ein Held war." Am 17. Februar 2007 griff auch „Bild" das Thema auf und titelte: „Leitz' Liste. So rettete der Leica-Chef 41 Juden."

Welche Wirkung solche Medienberichte auf eine breite Öffentlichkeit haben, zeigt die Einschätzung des Anzeigenblatts „Sonntagmorgenmagazin" (Wetzlar) am 18. Februar 2007: „Im Gegensatz zu Schindler hat Leitz den jüdischen Bürgern jedoch schon rechtzeitig die Möglichkeit zur Ausreise aus dem vom Naziregime unterworfenen Land ermöglicht, noch bevor diese in die Konzentrationslager verschleppt wurden." Damit wurde das Handeln von Ernst Leitz sogar noch über das von Oskar Schindler gestellt. Einen Tag später erschien schließlich ein Bericht im „Stern" unter dem Titel: „Der Leica-Schindler", in dem es hieß: „Ähnlich wie Oskar Schindler rettete er jüdische Angestellte vor dem KZ und dem sicheren Tod."

Zur selben Zeit fand sich bei Google unter dem Suchbegriff „Leica Freedom Train" neben mehr als 48 000 Einträgen ein vierminütiger Tonfilm - mit pfeifenden Dampflokomotiven.46

Die Art der Berichterstattung über ein Ereignis, für das bis dahin kaum ein Beweis vorlag, und die Gewichtung der Person - durch den Vergleich mit Oskar Schindler - warfen zwangsläufig die Frage auf, welche Belege es zum Leica Freedom Train wirklich gibt. Das Ergebnis meiner sechsjährigen Nachforschungen sei hier vorweggenommen: nur wenige. Es handelt sich vielmehr um eine „Rettungslegende", die allerdings aus einem wahren Ansatz heraus entstand.

Dass solche „Meldungen" auch 65 Jahre nach dem Holocaust von Zeitschriften wie „Financial Times Deutschland", „Stern", „Die Welt", „Süddeutsche Zeitung" und anderen Blättern ohne jede fundierte Recherche übernommen wurden, muss nachdenklich stimmen. Auch die amerikanische „Anti Defamation League" hat mit der Verleihung ihres „Courage to Gare Award" für „die Rettung von vermutlich 200 bis 300 Angestellten und ihren Familien" wohl allzu vorschnell gehandelt. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass Vorgänge der hier in Rede stehenden Art und angesichts dieser Dimension vor allem verlässliche Recherchen, eine nachprüfbare Dokumentation und eine angemessene Würdigung im zeitgeschichtlichen Kontext erfordern. Eine unreflektierte Legendenbildung und deren unüberprüfte Tradierung wird niemandem gerecht - mehr noch: Sie ist hier durchaus geeignet, das Ansehen von Ernst Leitz zu beschädigen. Dabei sollte immer im Auge behalten werden, dass die couragierten Leitz'schen Hilfsleistungen für verfolgte Juden über jeden Zweifel erhaben sind.

Was geschah aber wirklich? 

Ernst Leitz hat bis zum Frühsommer 1939, als die Juden aus Deutschland emigrieren mussten (aus heutiger Sicht: noch emigrieren konnten) in 21 Fällen insgesamt 45 Juden im Zuge ihrer Emigration unterstützt. Welche jüdischen Personen Hilfe erhielten, auf welche Art und wann das geschah, das soll hier dargestellt werden. Gegenstand meiner Recherchen waren zum einen die Schicksale deutscher jüdischer Emigranten, die Ernst Leitz in seinem Wetzlarer Unternehmen beschäftigte bzw. die in seinen ausländischen Filialen angestellt wurden, zum anderen aber auch derjenigen jüdischen Verfolgten, denen der Unternehmer in anderer Form Unterstützung und Hilfe zukommen ließ.

Leitz' Hilfe für einige der nach 1943 noch in Wetzlar lebenden, nach damaliger Diktion halb- oder vierteljüdischen47 Nachkommen emigrierter oder ermordeter Wetzlarer Juden sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung, da über deren Schicksal bereits berichtet wurde.48 Seine Unterstützung politisch verfolgter nichtjüdischer Personen soll hier nur im Fall seines Konzern-Verkaufsleiters Alfred Türk (geb. 24.4.1874 Straßburg, gest. 16.10.1967 Gräfelfmg b. München) mit einbezogen werden, da dieser im Zusammenhang mit zwei Leitz'schen Empfehlungsschreiben für jüdische Emigranten von der Gestapo verhaftet wurde. Dieser Vorgang gibt einen Hinweis auf den Grad der persönlichen Gefährdung für Ernst Leitz bei seiner Unterstützung von Juden.

Um seine Hilfeleistung in der Zeit bis 1939 angemessen beurteilen zu können, muss diese unter besonderer Berücksichtigung der wechselnden Modalitäten der nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Vertreibungspolitik und der vielschichtigen Immigrationsverhältnisse in den Aufnahmeländern gesehen werden. Darüber hinaus sind die damalige Leitz'sche Unternehmenssituation und seine persönliche Haltung zu berücksichtigen.

Die folgende Darstellung widmet sich daher zuerst den Grundsatzfragen der Vertreibung der Juden aus NS-Deutschland und den unerlässlichen Voraussetzungen für die Einwanderung in die unterschiedlichen Aufnahmeländer wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Palästina und Brasilien. Ohne die genaue Kenntnis dieser Hintergründe ist eine Beurteilung der Hilfeleistungen von Ernst Leitz ebenso wenig möglich wie ohne das Wissen um die Existenz des hier erstmals belegten jüdischen New Yorker Bürgschaft-Spenders Ludwig Seligmann, der aus Wetzlar stammte. Allein seine Hilfe ermöglichte damals zahlreichen Wetzlarer Juden die Immigration in die USA.

Im Anschluss daran werden folgende Fragen zur Person von Ernst Leitz gestellt: Welche Mittel und Wege standen diesem Unternehmer bei seiner aktiven Hilfe zur Verfügung und wie groß war seine eigene persönliche Gefährdung bei seiner Unterstützung? Schließlich soll die Frage geklärt werden, wie viele jüdische Emigranten er bei ihrer Emigration unterstützte, und zum Schluss folgen Kurzbiografien der betreffenden jüdischen Emigranten.


Fußnoten

  1. Nach: Encyclopaedia Judaica, Second Edition, Volume 9, Detroit, NY 2007, S. 343,ferner Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Weiß (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 5. Aufl., München 2007, S. 52.
  2. Israel Gutman (Hrsg.), Enzyklopädie des Holocaust, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Band I, Berlin 2002, S. 342 f.
  3. Donald Peterson Kent, The Refugee Intellectual: The Americanization of the Immigrants 1933-41, New York 1953, S. 12,17 ff.
  4. Siehe dazu ausführlich Rarsten Porezag, Die Wetzlarer Familie Carl Kellner und das optische Institut, in: MWGV, 42. Band, Wetzlar 2004, S. 167-285, ferner ders., Hensoldt., Geschichte eines optischen Werkes in Wetzlar, Band l, Wetzlar 2001, 4. Kapitel, S. 106 ff.: Moritz Hensoldt und Carl Kellner. Dass Wetzlar später zu einem Weltzentrum der Optik und Feinmechanik werden sollte, war daher prinzipiell Zufall.
  5. Nach Willi Erb, Die Leitz-Werke, Optische Werke Wetzlar. Ihre Geschichte und ihre Bedeutung für den Raum Wetzlar, Marburg 1955, S. 42 ff., 167 f.
  6. Siehe dazu auch S. 101, Anm. 239 ff., Ella Bocks, geb. Leitz, 1943 in München.
  7. Nach: AE (Historische Akten des Wetzlarer Einwohnermeldeamtes).
  8. Viele Experten befürchteten, das hohe Ansehen der Leitzwerke durch die weltweit anerkannten wissenschaftlichen Mikroskope würde durch das Fotogeschäft „profaniert", und eine so teure Kamera würde auch niemals in großen Stückzahlen verkauft werden können. Nach Erb, Die Leitz-Werke, S. 104 f.
  9. Leica = Lei(tz)Ca(mera). Siehe dazu auch S. 86, Anm. 201.
  10. Knut Kühn-Leitz (Hrsg.), Ernst Leitz. Wegbereiter der Leica, Königswinter 2006, S. 14.
  11. Nach Klaus-Otto Nass (Hrsg.), Elsie Kühn-Leitz. Mut zur Menschlichkeit, Bonn 1994, S. 30 ff., promovierte sie 1936 an der juristischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
  12. Siehe dazu auch S. 114, Anm. 286 (Julius und Eise Huisgen), und S. 138 (Heinrich Steiner).
  13. Zur Vereinfachung im Folgenden Ernst Leitz genannt.
  14. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP 1918-1933) identifizierte sich mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik und bekannte sich zu individueller Freiheit und sozialer Verantwortung.
  15. SKL III, S. 2. Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" wurde 1923 in Magdeburg von Mitgliedern der SPD, der Deutschen Zentrumspartei, der DDP und Gewerkschaften gegründet.
  16. SKL II, S. 3. Danach habe der frühere Wetzlarer Bürgermeister Kindermann 1947 an Eides statt erklärt, er habe etwa 1938 bei der Gauleitung in Frankfurt am Main erfahren: Wenn Dr. Leitz und auch mindestens einer seiner Söhne nicht in Kürze in die Partei einträten, würden alle Mitglieder der Familie Leitz von der Betriebsführung ausgeschlossen. Er, Kindermann, habe dem Betroffenen dann dringend geraten, pro Forma in die Partei einzutreten.
  17. Die Spruchkammern waren gemäß Artikel 35 des „Gesetzes zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946" eingesetzt worden, um die Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges zu sühnen. Dieses Gesetz sollte jedoch kein Strafgesetz im Wortsinne sein, sondern ein „Befreiungs- und Sühnegesetz". Dem entsprach die Terminologie „Betroffener" (nicht „Angeklagter"), „Öffentlicher Kläger" (nicht „Staatsanwalt"), „Sühnemaßnahmen" (nicht „Strafen"), „Spruch" (nicht „Urteil"), „Verantwortlichkeit" (nicht „Schuld") usw. Vgl. Erich Schulze (Hrsg.), „Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946", 2. Aufl., München 1947.
  18. SKL II.
  19. Karsten Porezag, Zwangsarbeit in Wetzlar. Der „Ausländer-Einsatz" 1939-1945. Die Ausländerlager 1945-1949, Wetzlar 2002.
  20. Ebenda, S. 164 f., 366: Nachweis des Wetzlarer Landrates vom 18. Januar 1945 für die Gestapo Frankfurt am Main über die Zwangsarbeiterlager in der Stadt Wetzlar. Danach beschäftigte die Ernst Leitz GmbH seit September 1942 insgesamt 195 Ausländer - im Januar 1945 waren es 989 Zwangsarbeiter/innen: 643 „Ostarbeiter/innen", vorwiegend aus der Ukraine, und 316 „Westarbeiter/innen" aus Frankreich und den Benelux-Ländern. Nach Frank Dabba Smith, Ernst Leitz of Wetzlar and Altruism During the Holocaust, in: Aspects of Liberal Judaism, London 2004, S. 9, ferner nach Knut Kühn-Leitz (Hrsg.), Ernst Leitz, Ein Unternehmer mit Zivilcourage in der Zeit des Nationalsozialismus, Hanau 2007, S. 107, beschäftigte Leitz hingegen lediglich „ungefähr 600 Frauen aus der Ukraine".
  21. Karsten Porezag, Als aus Nachbarn Juden wurden. Die Deportation und Ermordung der letzten Wetzlarer Juden 1938-1943/45, Wetzlar 2006.
  22. Nach nationalsozialistischer Gesetzgebung bezeichnete dies eine Ehe zwischen einem „arischen" und einem „nichtarischen" Ehepartner bzw. eine Ehe, in der die Kinder einer christlichen Kirche angehörten. Vgl. hierzu ausführlich Porezag, Als aus Nachbarn Juden wurden, S. 128 ff.
  23. Der Begriff „Freedom Train" geht vermutlich zurück auf die Ereignisse um befreite Sklaven im amerikanischen Sezessionskrieg.
  24. Eine schriftliche Anfrage vom 26. Januar 2007 bei Dr. Knut Kühn-Leitz in Wetzlar, einem Enkel von Ernst Leitz II, im Hinblick auf dort eventuell vorhandene weitergehende Erkenntnisse zu diesem Thema blieb leider unbeantwortet.
  25. Diese und ähnliche Schilderungen fanden sich noch 2008 in zahllosen Internet-Auftritten unter dem SuchbegrifF „Leica Freedom Train".
  26. Die 1913 gegründete „Anti Defamation League" ist die weltweit führende Organisation gegen Antisemitismus. Ihr „Courage to Gare Award" (Auszeichnung: „Mut zum Handeln") wurde bis Februar 2007 insgesamt 31-mal vergeben; vgl. www.adl.org.
  27. Ebenda: „German Creator of Leica Camera .Freedom Train' Honoured for Saving Hundreds of Jews from The Nazis. [...] The German owner of the Company that manufactures Leica cameras was honoured [...] for saving an estimated 200 to 300 employees and their families." Die Nennung von „200 bis 300 Angestellten mit ihren Familien" bedeutet insgesamt ein Mehrfaches davon an Personen.
  28. Oskar Schindler reklamierte für seine Produktionsstätte in Plaszow (Polen) Hunderte jüdischer Arbeitskräfte und rettete diese vor ihrer Ermordung in den Vernichtungslagern. Zum Leben und Wirken Schindlers vgl. David M. Crowe, Oskar Schindler, Frankfurt a. M. 2005, und Thomas Keneally, Schindlers Liste, München 1994. Siehe dazu S. 165 ff.
  29. So die Angabe von Christel Abel, Ehringshausen, am 2. Oktober 2006, die die amerikanischen Gäste durch Wetzlar geführt hatte.
  30. Der Film „Schindlers Liste" thematisierte die Ereignisse und machte sein Handeln weltweit bekannt.
  31. www.zonezero.com: „Leica freedom train. An interesting piece of photographic history by George Gilbert".
  32. So habe Norman C. Lipton 1967 dem Sohn Günther Leitz vorgeschlagen, die „Geschichte des Untergrund-Zuges aus Deutschland" zu schreiben. Günther Leitz habe sich daraufhin entrüstet: „Nicht, solange ich lebe!" Vgl. hierzu Frank Dabba Smith, Ernst Leitz aus Wetzlar und die Juden, in: Fotogeschichte, 20. Jg., Heft 76, Marburg 2000, S. 49 ff., 54 f., und Smith, Ernst Leitz of Wetzlar and Altruism, S. 9. Siehe auch Schlussbemerkungen, S. 161 ff.
  33. George Gilbert, About the Leica Camera and the Leica Freedom Train, in: Viewfinder. Quartly Journal of the Historical Society of America, Vol. 35, No. 2.
  34. Autor: George Gilbert.
  35. Journal of Progressive Judaism, Sheffield/GB, No. 10, Mai 1998, S. 8.
  36. Fotogeschichte, Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 20, Heft 76, Marburg 2000, S. 49 ff.
  37. www.phsc.ca/gilbert.hmtl: „The Hidden Leica Story", by George Gilbert.
  38. Smith, Ernst Leitz of Wetzlar and Altruism.
  39. Frank Dabba Smith, Angabe gegenüber dem American Jewish Committee Berlin Office. Von dort dem Autor mitgeteilt am 26. Januar 2007.
  40. Publiziert bei der American Photographic Historical Society, 1150 Avenue of the Americas, New York, NY 10036 THE.
  41. „Der Engel der Juden, der die Leica schuf: Der Oskar Schindler der Fotografie - der Leica-Freiheitszug".    ...... , . ...
  42. „Ernst Leitz, der deutsche Industrielle, rettete hunderte angestellte Juden".
  43. Am 20. Juli 1999, während eines Besuches beim Autor dieser Arbeit in Wetzlar, wusste Frank Dabba Smith noch nicht, dass es in Deutschland nach dem Krieg Spruchkammer-Verfahren gegeben hatte. Bei einer Pressekonferenz des Wetzlarer Geschichtsvereins am 15. März 2007 zum Aufsatz von Frank Dabba Smith über Ernst Leitz erklärte Dr. Knut Kühn-Leitz (ein Enkel von Ernst Leitz, seit Jahren in engem Kontakt mit Smith), er habe erstmals 2002 durch mein Buch „Zwangsarbeit in Wetzlar" Kenntnis von der Existenz der Spruchkammer-Akten seines Großvaters Ernst Leitz erhalten. Mitteilung von Alois Rösters (damals Leiter Lokalredaktion Wetzlarer Neue Zeitung), am 20. März 2007.
  44. Mark Honigsbaum, New life through a lens, in: Financial Times Deutschland, 2. Februar 2007.
  45. Die vor dem Jahre 1935 geschlossenen Ehen zwischen Juden und Christen - sogenannte Mischehen - waren nicht verboten. Ab dem 15. September 1935 - nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze" - waren neue Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden jedoch nicht mehr erlaubt. Die nichtjüdischen Partner in bereits bestehenden „Mischehen" wurden zwar zur Scheidung aufgefordert, diese Ehen wurden aber nicht zwangsweise aufgelöst. Siehe dazu ausfuhrlich Porezag, Als aus Nachbarn Juden wurden, S. 128 ff.
  46. Bei www.youtube.com, www.raincontreras.com und vielen anderen.
  47. Nach der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1935, den so genannten Nürnberger Gesetzen, unterschied man zwischen Voll-, Halb- oder Vierteljuden. Diese Einstufung richtete sich nach der Anzahl der jüdischen Eltern bzw. Großeltern. Vgl. hierzu: Beate Meyer, Jüdische Mischlinge. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945, Hamburg 1999. Siehe auch Porezag, Als aus Nachbarn Juden wurden, S. 25,134 ff.
  48. Ebenda, S. 158 ff.

 

Vorwort
Einleitung

1. Das „Gesetz über die Verhältnisse der Juden“ vom 23. Juli 1847

2. Der Altkreis Wetzlar und seine Bürgermeistereien 1836 - 1945

              2.1 Die Bürgermeistereien im Jahre 1836
              2.2 Die Bürgermeistereien im Jahre 1876
              2.3 Die Bürgermeistereien im Jahre 1901
              2.4 Veränderungen der Bürgermeistereien im 19. Jahrhundert
              2.5 Die Preußische Verwaltungsreform vom 1. Oktober 1932

3. Die Preußische „Synagogengemeinde Wetzlar“, ihre 
    „Synagogenbezirke“ und deren „Lokalgemeinden“ 1853-1939

              3.1 Die Synagogengemeinde Wetzlar mit ihren Synagogenbezirken und deren
                   Lokalgemeinden nach dem Stand von 1853
              3.2 Die Veränderungen 1853 – 1901
              3.3 Das Ende

4. Die Orte der späteren Synagogengemeinde Wetzlar seit 1836

               4.1 Der Synagogenbezirk Wetzlar
                    4.1.1 Historischer Überblick
                            4.1.1.1 Die Synagogen
                            4.1.1.2 Die jüdischen Friedhöfe
                            4.1.1.3 Die Mikwen
                            4.1.1.4 Die Sozial- und Bildungseinrichtungen
                                       4.1.1.4.1 Die Judenschule
                                       4.1.1.4.2 Die Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa)
                                       4.1.1.4.3 Der Israelitische Frauenverein
                            4.1.1.5 Die Ortsgruppe Wetzlar des „Central-Vereins
                                       deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“
                            4.1.1.6 Herausragende Persönlichkeiten des jüdischen Lebens in Wetzlar
                    4.1.2 Die Lokalgemeinde Nauborn
                    4.1.3 Die Lokalgemeinde Niedergirmes
 
             3.2  Der Synagogenbezirk Atzbach
                    3.2.1 Die Lokalgemeinde Atzbach
                            3.2.1.1 Historischer Überblick
                    3.2.2 Die Lokalgemeinde Vetzberg
                            3.2.2.1 Historischer Überblick
 
             3.3   Der Synagogenbezirk Hörnsheim
                    3.3.1 Die Lokalgemeinde Hörnsheim
                            3.3.1.1 Historischer Überblick
                    3.3.2 Die Lokalgemeinde Hochelheim
                            3.3.2.1 Historischer Überblick
                    3.3.3 Die Lokalgemeinde Oberkleen
                            3.3.3.1 Historischer Überblick
                    3.3.4 Die Lokalgemeinde Ebersgöns
                            3.2.4.1 Historischer Überblick
 
             3.4  Der Synagogenbezirk Münchholzhausen
                    3.4.1 Die Lokalgemeinde Münchholzhausen
                    3.4.2 Die Lokalgemeinde Nauborn
                    3.4.3 Die Lokalgemeinde Griedelbach
                    3.4.4 Die Lokalgemeinde Kraftsolms
                    3.4.5 Die Lokalgemeinde Kröffelbach
                    3.4.6 Die Lokalgemeinde Bonbaden
  
           3.5  Der Synagogenbezirk Braunfels
                    3.5.1 Die Lokalgemeinde Braunfels
                    3.5.2 Die Lokalgemeinde Burgsolms
                    3.5.3 Die Lokalgemeinde Oberndorf
                    3.5.3 Die Lokalgemeinde Niederbiel
                    3.5.4 Die Lokalgemeinde Tiefenbach
 
           3.6 Der Synagogenbezirk Biskirchen
                    3.6.1 Die Lokalgemeinde Biskirchen
                    3.6.2 Die Lokalgemeinde Daubhausen
                    3.6.3 Die Lokalgemeinde Edingen
                    3.6.4 Die Lokalgemeinde Greifenstein
 
           3.7 Der Synagogenbezirk Asslar
                    3.7.1 Die Lokalgemeinde Asslar
                    3.7.2 Die Lokalgemeinde Werdorf
                    3.7.3 Die Lokalgemeinde Kölschhausen
                    3.7.4 Die Lokalgemeinde Ehringshausen
                    3.7.5 Die Lokalgemeinde Katzenfurt
 
           3.8 Der Synagogenbezirk Hohensolms
                    3.8.1 Die Lokalgemeinde Hohensolms
                    3.8.2 Die Lokalgemeinde Erda
                    3.8.3 Die Lokalgemeinde Altenkirchen

An Waffen jeglicher Art gänzlich uninteressiert, hätte ich nicht gedacht, jemals eine Dokumentation zur Regionalgeschichte von Geheimwaffen des Zweiten Weltkrieges zu verfassen. Der Anstoß dazu erfolgte auch eher zufällig. Bei der Arbeit zu meinem Buch »Bergbaustadt Wetzlar«, später auch bei meinen bergbauhistorischen Stadtführungen bekam ich von älteren Bürgern Hinweise, daß sich während des Zweiten Weltkrieges in den alten Bergwerksstollen unter der Stadt geheimnisvolle Dinge abgespielt hätten. Diesen Hinweisen ging ich nach.

Das Ergebnis überraschte, denn das Land an Lahn und Dill spielte bei der Entwicklung, Erprobung, dem Bau und zuletzt auch beim Einsatz von Hitlers »Vergeltungswaffen« - kurz » V- Waffen« - eine wesentliche Rolle. Die heimische Optik- und Schwerindustrie bot dafür besonders günstige technische und personelle Voraussetzungen. Wie bedeutend die Rolle Mittelhessens bei diesen Rüstungsproduktionen war, zeigt sich auch daran, daß Wernher von Braun kurz nach Kriegsende, im Juli 1945, nach Wetzlar kam, um sich bei Leitz Konstruktionsunterlagen und optische Geräte für seine Tätigkeit in den USA aushändigen zu lassen.

Darüber hinaus lagen einige der letzten V2-Abschußstellungen vor Kriegsende im Westerwald und bei Wirbelau; zwei ihrer letzten Gefechtsstände befanden sich kurzzeitig in Albshausen und Hartenrod, und die zurückweichenden Raketentruppen durchquerten das heutige Lahn-Dill-Gebiet, ja sogar die Stadt Wetzlar selbst. Auf dem Verschiebebahnhof Garbenheim befand sich einer der wenigen V2-Eisenbahn-Batteriezüge des Zweiten Weltkrieges.

Ebenso bemerkenswert ist, daß sich Hitler zusammen mit fast allen Reichsgrößen vom 10. Dezember 1944 bis zum 15. Januar 1945, kaum 20 Kilometer von Wetzlar entfernt, in seinem »Führerhauptquartier West« (Deckname »Adlerhorst«) in Ziegenberg bei Bad Nauheim aufhielt, zu welchem früher auch der »Führertunnel Hasselborn« gehört hatte.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg ist dies sicher die letzte Gelegenheit, jahrzehntelang geheimgehaltene Geschehnisse von besonderer Tragweite noch an den Originalschauplätzen und durch Aussagen vieler damals beteiligter Wissenschaftler, Techniker, Soldaten und Bürger zu dokumentieren.

Die Aktenlage erwies sich als problematisch. Besonders hinderlich dabei war die Tatsache, daß es im Zweiten Weltkrieg wegen der strengsten Geheimhaltung nur relativ wenige Dokumente über V- Waffen gab, die zudem zwischen dem 19. und 29. März 1945 aufgrund von Führerbefehlen -z. B. Geheime Kommandosache Nr. 002711/45 und ähnlich lautende Befehle des Oberkommandos der Wehr- macht und der Luftwaffe -vollständig zu vernichten waren. Was dennoch der Beseitigung entging, wurde bei Kriegsende sofort von alliierten Spezialeinheiten beschlagnahmt und steht uns heute teilweise zur Verfügung.

Auch die Beschaffung authentischen Bildmaterials erwies sich als schwierig. Bisher veröffentlichte Motive beschränken sich meist auf schon bekannte Propagandafotos oder Werksaufnahmen und haben nur selten einen Bezug zu unserer Region. Wer hätte damals schon gewagt, diese geheimsten aller Kriegswaffen zu fotografieren? Einige wenige Privatfotos sind daher absolute Glücks- fälle. So kommt den persönlichen Zeugnissen ganz zwangsläufig ein herausragender Stellenwert zu.

Was nun den Zeugniswert mündlicher Aussagen gegenüber schriftlichen Quellen anbelangt, erinnere ich mich gerne eines Hinweises, den mir der 1987 verstorbene Historiker und Leiter des Historischen Archivs der Stadt Wetzlar, Herbert Flender, freundschaftlich gab, wobei er nicht ohne humorvollen Seitenblick auf eigene Erfahrungen als Funkoffizier des Zweiten Weltkrieges sagte:

»Die exakte Ortung eines Punktes ist durch das Anpeilen aus mindestens zwei Richtungen möglich. Gleichermaßen kann die Angabe eines Zeitzeugen als sicher gelten, wenn mindestens eine weitere, besser natürlich mehrere Personen dieselbe Aussage machen, möglichst ohne jedoch voneinander zu wissen. Dann kann sich die mündliche Überlieferung als wertvolle Ergänzung zu vorhandenen Originalunterlagen erweisen.«

Heimische Literatur zum Zweiten Weltkrieg lag bis vor kurzem nur in sehr begrenztem Umfang vor, wobei ausnahmslos zeitgeschichtliche und ideologie- kritische Fragestellungen im Mittelpunkt standen. Technik- und regional- geschichtliche Aspekte konnte ich erst in jüngster Zeit ausführlicher behandeln. Dieses Buch soll daher dokumentieren, welchen besonderen Anteil das Land an Lahn, Dill und im Westerwald am Entwicklungs-, Produktions- und Einsatz- geschehen der V-Waffen hatte.

Ich hoffe, der Versuchung einer Bewertung der Geschehnisse nicht allzu oft erlegen zu sein. Dabei bin ich mir bewußt, daß es einfacher ist, aus historischem Abstand zu sagen, wie man sich hätte verhalten sollen, als in der geschichtlichen Situation selbst den richtigen Weg zu erkennen.

So ist in der Geschichtsschreibung die Versuchung groß, die Vergangenheit als rechtfertigendes, verdammungswürdiges oder warnenswertes Beispiel für die Gegenwart darzustellen. Die Gefahr einer historischen Verzeichnung ist aber besonders dann gegeben, wenn, wie im Falle des Nationalsozialismus, die Vergangenheit noch unmittelbar in die Gegenwart hineinwirkt und in vielen Bereichen noch längst nicht bewältigt ist. Objektive Geschichtsschreibung kann daher nur heißen: Darstellung der damaligen Geschehnisse unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse.

Ohne vielfältige Unterstützung wäre diese Dokumentation kaum in der vorliegenden Form zustande gekommen. Hier ist vor allem drei Männern zu danken, deren berufliche Tätigkeit in der fraglichen Zeit eng mit den hier nachzuzeichnenden Vorgängen verbunden war. Es sind dies: Der Wetzlarer Dr. rer. nat. Helmuth Frenk, der in Peenemünde das militärisch exakte Richtverfahren der V2-Raketen einführte und vor den Versuchsschießen die automatischen Steuerungen technisch abnahm. Dieser bemerkenswerte Naturwissenschaftler und Augenzeuge stand mir unermüdlich mit Rat in physikalischen, technischen und chemischen Fragen zur Seite. Ferner Heinz-Kurt Schmidt aus Braunfels, der als engster Mitarbeiter des Erfinders und Konstrukteurs August Coenders in der geheimen Entwicklungsabteilung der Wetzlarer Röchlingwerke die Fertigung und Erprobung der Geheimwaffe V3 miterlebte und mir fünfzig Jahre danach seine intimen Kenntnisse hierüber in zahllosen Gesprächen vermittelte, sowie Prof. Dr. G h.c. Dipl.-Ing. Werner Sell aus Dillenburg, der im Krieg als oberster Bauchef der Reichsluftwaffe und dort »Sonderbeauftragter für unterirdische Anlagen des Deutschen Reiches« einen Fertigungsring für die VI im Dillkreis aufbaute. Darüber hinaus erhielt ich von zahllosen Zeitzeugen eine Fülle von Einzelhinweisen, die ich als wertvolle Bausteine einem Mosaik einfügen konnte.

Mein besonderer Dank für die freundliche Unterstützung gilt schließlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs Koblenz und des Bundesarchivs -Militärarchiv -Freiburg, ferner den Herren Udo Dragesser in Runkel-Schadeck, Dipl.-Ing. Rudolf Fischer (+) in Wetzlar, Rainer Gasse in Battenfeld, Horst F. Hauschild in Homberg/Efze, Dipl.-Ing. Wilhelm Hellmold in Laasphe, Paul und Dieter Hild in Herborn, Ing. grad. Paul Hofmann (+) in Dillenburg,  Dr. Uli Jungbluth in Nauort, Walter Keul in Rodenroth, Rainer Klug in Herborn, Dr. Ludwig Leitz (+) in Wetzlar, Heinrich Schauss in Wetzlar, Hartmut Schmidt in Leun, Fritz Siewczynski in Alsbach und Werner Specht in Beilstein. Helmut Rösch aus Steindorf danke ich für die zeitweise Überlassung eines Teils seiner umfangreichen Militärliteratur.

Wetzlar, im November 1996

Zum Geleit 5
Vorwort 6
Hinweise zur Benutzung des Buches  9
Inhalt 11
Die häufiger gebrauchten Quellen 17
Zeittafel 1940 - 1945 23
Die Geschichte -Allgemeiner Teil
Die Waffen: Konstruktion, Erprobung und militärischer Einsatz
 
Wie kam es zu »Vergeltungswaffen«? 40
Wissenschaft und Vergeltung 47
Die Geheimwaffensysteme  
  Die V1 54
    Rückschläge 56
    Der Verlustflugkörper 57
    Funktion und Konstruktion 60
      Der Rumpf  62
      Das Triebwerk 63 
      Der Start 68
      Die Steuerung 69
      Die Energieversorgung 72
      Der Start aus der Luft 73
      Der Selbstopfer-Einsatz 75
      Die Fertigung 79
      Die Montage 81
  Die V2 84
    Feststoff- und Flüssigkeitsraketen 84
    »A4«-dieKriegsrakete 92
    Funktion und Konstruktion 98
      Die Spitze  98
      Geräteraum und Steuerung 99
      Die Treibstofftanks 102
      Das Triebwerk 105
      Das Leitwerk 108
      Die Farbgebung 111
      Der Start 113
    Die »Mittelwerk GmbH« 120
    Raketenbunker 133
    Die Schießenden Verbände 138
    Der Einsatz 154
  Die V3 171
    Ferngeschütze und Riesenkanonen 171
    Mehrkammer-Geschütze 173
    »Hochdruckpumpe«, »Rö-Granate« und »Peenemünder Pfeilgeschoss« 176
    Auf Befehl Hitlers 184
    Das Projekt »Tausenfüßler« 188
    »Pumpwerk Misdroy« und Hillersleben 192
    Das Ende der »England-Kanone« 197
    LRK 15 F 58 - die V3 200
    Die V3 bei Hermeskeil 201
    Einsatz und Ende 202
    1990: Hitlers V3 im Irak? 205
  Die Fla-Rakete »Wasserfall« 211
Die Geschichte - Regionalteil
Die Ereignisse an Lahn, Dill und im Westerwald 
 
  Die V1 227
    Frank'sche Eisenwerke, Werk Niederscheld 231
    Buderus'sche Eisenwerke, Werk Lollar 236 
    Buderus'sche Eisenwerke, Werk Ewersbach 238
    Berkenhoff & Drebes, Werk Merkenbach 239
    Burger Eisenwerke, Werk Herborn 240
    Burger Eisenwerke, Werk Schelderhütte 241
    Burger Eisenwerke, Werk Burg 243
    Burger Eisenwerke, Werk Ehringshausen 243
    Pfeiffer Apparatebau GmbH, Wetzlar 244
    Röchling'sche Eisen- und Stahlwerke GmbH, Entwicklungsabteilung Wetzlar 251
    Fa. Thielmann, Sechshelden 252
    Die Endmontage 253
    Das Geschehen im Westerwald 263
    Nach Kriegsende 268
  Die V2 271
    Ein Wetzlarer Physikstudent und Leitz'sche Optik 271
    Raketenpumpen aus Herborn 288
    Der Einsatz im Westerwald 289
    Tarnanstriche in Burg 295
    Die Raketenstellung Wirbelau 299
    Sauerstoff aus Villmar 307
    Garbenheim. Ein Raketenzug explodiert 310
    V2-Einheiten in Weilburg und Wetzlar 318
    Raketenstellungen im Schelderwald? 325
    Odyssee eines Raketenzuges 329
    Juli 1945 - Wernher von Braun in Wetzlar 343
  Die V3 347
    Röchling und Buderus 347
    August Coenders 351
    Die »Rö-Granate« 354
    Coenders-MP und -MG 355
    Die Produktion der »Rö-Granate« 359
    Erprobung in Grulich 361
    Die Entwicklung der Fernkanone 365
    Weitere Versuchsschießen 368
    HDP-Produktion in Wetzlar 369
    Der Dr.-Fritz-Todt-Preis 373
    Coenders-Volksgewehr und Volkssturm-Karabiner 376
    Das Ende in Oberkleen 381
    Das Ende der »Entwicklungsabteilung, Wetzlar« 384
    45 Jahre danach 388
  Die Fla-Rakete »Wasserfall« 390
    Optische Raketensteuerungen aus Wetzlar 390
      Die Leitzwerke 390
      Die Pfeiffer-Apparatebau GmbH 405
    Die Füllstation Steinringsberg 407
    Geheimwaffen in Eisenbahntunneln? 409
      Der Reichsbahntunnel Hasselborn 412
      Der Reichsbahntunnel Langenaubach 430
    Die unterirdischen Produktionsstätten 436
Schlussteil
 
Was wussten die Alliierten? 446
Fazit 450
Anhang
 
  Erläuterung der Spezialbegriffe 452
  Quellenangaben 457
  Bildnachweis 479
  Ortsregister (Lahn, Dill und Westerwald) 480
  Situationskarten: Karte 1 228
  Karte2 330
  Karte3  410
Geleitwort    9
Vorwort  10
Der Autor  13
Einleitung 14
   
ERSTES KAPITEL  

Zwangsarbeit im Deutschen Reich

27
Der Ausländereinsatz bis 1939 
29
   
Der "Polen-Einsatz"
35
Anwerbung 35
Vermittlung  49
Behandlung 56
Unterbringung  65
Verpflegung  70
Entlohnung und Arbeitszeit  71
Steuern 75
Sozialversicherung 75
Lohnauszahlung 78
Lohnüberweisung in die Heimat  79
Krankenversorgung und Schwangerschaft 80
Urlaub  81
   
"Westarbeiter"
81
Anwerbung 81
Behandlung 84
Unterbringung und Verpflegung  85
Urlaub  86
Entlohnung 86
Steuern und Sozialversicherung  86
Lohnüberweisung 87
   
Der "Ostarbeiter-Einsatz"
87
Anwerbung  88
Behandlung 95
Unterbringung  108
Verpflegung  108
Urlaub 110
Entlohnung  113
Steuern  119
Sozia1versicherung  120
Lohnauszahlung  120
Lohnüberweisung in die Heimat  121
Krankenversorgung und Schwangerschaft 121
Widerstand und Bestrafung  123
I.M.I. 's 125
Die Entlohnung Kriegsgefangener 127
   
ZWEITES KAPITEL  

Zwangsarbeit in Wetzlar

131
Chronologie 133
Wetzlarer zur Zwangsarbeit  167
Vermittlung  170
Behandlung 178
Unterbringung und Verpflegung  212
Propaganda 221
Arbeitszeiten 225
Entlohnung 231
Ausgang und Urlaub  243
Selbstverstümmelung  248
Krankheit, ärztliche Versorgung, Schwangerschaft 252
Kinder und jugendliche Zwangsarbeiter 260
Widerstand und Bestrafung  266
Sexualleben  290
"Rassenschande" 293
Tod  305
Rüstungsproduktion und Ausländer-Einsatz aus Sicht der Betriebe 314
Kriegsgewinne 332
Die Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos in Wetzlar 341
   
DRITTES KAPITEL  

Die Betriebe 

345
Die Stahlwerke Röchling-Buderus AG
347
Das "Wohnlager Gabelsbergerstraße" ("Lahnlager") 350
Das "Russenlager" im Werk 352
Das "Polenlager" im Werk 352
Das "Lager Carolinenhütte" 354
Das "Gemeinschaftsheim Niedergirmes" 354
Das Lager Naunheim  355
Das "Gemeinschaftsheim Altenberg" 355
Die Buderus'schen Eisenwerke 
356
Das Lager Hermannsteinerstraße 13  358
Das "Lager Sophie" im Werk 360
Das "Polenlager" im Werk 361
Das Lager Schellweg  361
Das "Lager Lahnhof" 361
Das Lager Kalkbruch Niedergirmes  362
Das Gasthaus Rühl in Hermannstein  362
Die Ernst Leitz GmbH, optische Werke
363
Das "Lager Weiherwiese" 366
Die "Unterkunft Göth's Garten" 367
Das Notlager im Werk  369
Das "Lager Kornmarkt"  370
Das "Ostlager Lahninsel" und das "Westlager Stadion" 371
Das "Lager" Hausertorwerk 375
M. Hensoldt & Söhne, Optische Werke AG
377
Das Lager Hensoldtstraße 381
Das "Iding-Lager" 383
Das "Lager Güllgasse" 388
Das "Lager Garbenheimer Straße" 388
Die Firma Arthur Pfeiffer, Wetzlar (Pfeiffer Apparatebau GmbH) 
391
Das "Lager Taubenstein" 395
Das Lager Jakob-Sprenger-Straße 396
Das geplante Lager Stoppelberger Hohl 398
Das "Wohnlager Schamhorststraße 4" 398
Die Herkules-Werk GmbH 401
Die Hollmann-Werke GmbH 403
Die Carolinenhütte GmbH 405
Die Handschuhfabrik Bruno Mülln 407
Die Spinnerei und Weberei KG 407
Die Firma Georg Kremp, Optik und Mechanik 408
Die Firma Georg Kremp, Söhne, Wetzlar 410
Der Gleisbautrupp 10 der RBD Frankfurt/Main 411
Die Stadtwerke Wetzlar 412
Die Stadtverwaltung Wetzlar 412
   
VIERTES KAPITEL  

Die Wetzlarer Ausländerlager 1945- 1949

415
DP-Lager 417
Das jüdische Lager 436

Das Deutsche Reich, das zwischen 1939 und 1945 mit der halben Welt im Krieg lag, konnte diesen Krieg nur führen, indem es sich der Ressourcen der von ihm eroberten oder von ihm abhängigen Länder in Europa bemächtigte. Das galt für die Wirtschaft dieser Länder, für deren Rohstoff-, Devisen- und Goldvorräte, für militärtechnische Ausrüstung -und für Arbeitskräfte. 

In einem Kommentar in den "Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken" hieß es 1983 im Zusammenhang mit solchen Arbeitskräften: 

"Durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges und die damit verbundene Einberufung junger Menschen zu den Streitkräften und später durch Ausfälle infolge von

DerArbeitseinsatz Titelblatt der geheimen Zeitschrift des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, vom 30, Dezember 1944 mit der grafischen Darstellung der Beschäftigtenzahlen 1940 bis 1944 im Großdeutschen Reich. Die trotz stetiger Einberufungen von Millionen deutsch er Männer zum Kriegsdienst immer weiter steigenden Beschäftigten zahlen im Deutschen Reich resultierten nicht nur aus der Übernahme der besetzten ausländischen Gebiete, sondern auch aus den ständig zunehmenden Ausländer zahlen in der deutschen Wirtschaft. Diese heute nur noch in wenigen Exemplaren existierende Zeitschrift enthielt zahlreiche statistische An gaben auch zum Arbeitsamtsbezirk Wetzlar.
tabelle1 Die Tabelle wurde erstellt nach. "Der Arbeitseinsatz im Großdeutschen Reich" Nr. 10 vom 31. Oktober 1944 und Nr. 11/12 vom 30. Dezember 1944 (siehe gegenüberliegende Seite). Die Kriegsgefangenen-Zahlen stellen den Stand vom 15. August 1944 dar. Die Zivilarbeiter-Zahlen den Stand vom 30. September 1944.

Kampfhandlungen in der Zivilbevölkerung ergaben sich für die deutsche Wirtschaft erhebliche Probleme, für die auf Hochtouren laufende Produktion die notwendigen Arbeitsplätze zu besetzen. Daraus entstand die Notwendigkeit, die zunehmenden Lücken durch ausländische Arbeitskräfte aus allen besetzten Teilen Europas aufzufüllen. Erst recht traf dies zu bei Fortschreiten des Krieges. Immer mehr mußten ausländische Arbeitskräfte eingesetzt werden, weil das deutsche Arbeitskräftepotential nicht ausreichte. ...Hauptsächlich wurden jüngere, arbeitstüchtige und auch unter erschwerten Bedingungen belastbare ausländische Arbeitskräfte eingesetzt ..."

Im Zeitraum zwischen dem 15. August und 30. September 1944 waren im Gebiet des "GroBdeutschen Reiches" 7.906.760 ausländische Arbeitskräfte als "eingesetzt" gemeldet. Es waren 5.976.673 ausländische Zivilarbeiter - im Volksmund zumeist pauschal "Fremdarbeiter", amtlich auch "Wanderarbeiter", "Zivildienstpflichtige" oder "Dienstverpflichtete" genannt (bestimmte Volksgruppen wurden als "Ostarbeiter" und "Westarbeiter" bezeichnet) - und 1.930.087 Kriegsgefangene. Sie stammten aus 26 Ländern. Unter ihnen befanden sich 3.041.395 Sowjets und Ukrainer, 1.847.851 Polen, 1.246.388 Franzosen, 714.585 Italiener, 254.544 Holländer und 249.823 Belgier, sowie 648.385 "Schutzangehörige des Deutschen Reichs" und 74.305 "Staatenlose".

Hinzuzurechnen sind aber noch etwa 500.000 KZ-Häftlinge, im Laufe der ersten fünf Kriegsjahre Ermordete, aus Hunger, Schwäche und Krankheit Verstorbene, Geflüchtete, Abgeschobene (Kranke, Schwangere und Arbeitsunfähige ), nicht aus dem Urlaub Zurückgekehrte, sowie Tausende, vielleicht Zehntausende, die schon während der Deportationstransporte vor Hunger, Kälte und Krankheit umkamen. Es ist danach nicht unwahrscheinlich, dass insgesamt etwa 14 Millionen ausländische Arbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland Zwangsarbeit geleistet haben.!O "Europa arbeitete im Reich".
Reichsführer SS Heinrich Himmler hatte in diesem Zusammenhang in einer geheimen Rede vor dem Führerkorps der SS am 4. Oktober 1943 unter anderem bemerkt:  

"Ob die anderen Völker verrecken oder verhungern, interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven fiir unsere Kultur brauchen."

Fast die Hälfte aller in deutschen Rüstungsbetrieben Beschäftigten waren Ausländer. Dasselbe gilt für die deutsche Landwirtschaft, die schon Ende 1940 ohne die etwa 2 Millionen dort eingesetzten Zwangsarbeiter nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Lebensmittelproduktion auf dem erforderlichen Niveau zu halten. Die gesamte deutsche Kriegswirtschaft war trotz konsequenter Rationalisierung und des späteren Masseneinsatzes deutscher Frauen alternativlos auf ausländische Zwangsarbeiter angewiesen. Dieser "Reichs-Einsatz" von Millionen Zwangsarbeiter/innen hatte es dem nationalsozialistischen Deutschland überhaupt erst ermöglicht, zusätzlich zur Ernährung der Reichsbevölkerung den Krieg noch weiterzuführen, als seine eigenen Arbeitskraft-Quellen längst versiegt waren. Nur so war der NS-Staat schließlich in der Lage, den im Laufe des Krieges bald zahlenmäßig und materiell um ein Vielfaches überlegenen Gegnern gegenüberzutreten. Das Durchschnittsalter der Zwangsarbeiter lag bei etwa 20 Jahren. Ein Drittel von ihnen waren Frauen und Mädchen, bei denen aus Polen und der Sowjetunion über 50 Prozent, die meisten unter 20 Jahren. Aber auch zahlreiche Kinder von 13 oder 14 Jahren waren als "beschäftigt" gemeldet. Sie alle waren ein gutes Geschäft für das Deutsche Reich, denn ihnen wurden überhöhte Steuern und Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung vom ohnehin kärglichen Lohn abgezogen.  Die Reichsdeutsche Rentenversicherung vereinnahmte von Millionen ausländischen Zwangsarbeitern Beitragsleistungen in Milliardenhöhe, wohl wissend, dass deren Beiträge - den erwarteten deutschen Endsieg vor Augen - voraussichtlich niemals Rentenzahlungen auslösen würden. Unter den Millionen ausländischen Zivilarbeitern gab es nur einen ganz geringen Prozentsatz von Personen, die freiwillig nach Deutschland gekommen waren. Der vormalige Thüringer Gauleiter und seit 21. März 1942 "Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz" ("GBA ") Fritz Sauckel räumte im Zuge des Nürnberger Prozesses dazu später selbst ein:

" Von den fünf Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200.000 freiwillig gekommen."

Postleitzahl Amtliche Mitteilung in der Zeitschrift "Die Rhein-Mai nische Wirtschaft" vom April 1944 über die vermutlich weltweit erste Einführung von Postleitzahlen. Der Grund war - wie auch schon im Ersten Weltkrieg bei den DIN-Normen in der gesam ten Industrie - eine enorme Personal- und Materialein sparung bei der Deutschen Reichspost, denn bis dahin konnten Postbeamte die Adressen auf den Sendungen häufig erst nach einer zeit- aufwendigen Suche zuordnen. Die durch das neue System frei gewordenen Arbeitskräfte konnten an- schließend in der sonstigen Kriegswirtschaft eingesetzt werden. Auch die besetzten Gebiete Polen, Estland, Lettland, Litauen und die Ukraine hat ten damals deutsche Postleitzahlen.

Ein völlig anderer Aspekt ist hingegen die Tatsache, dass Millionen überwiegend junger Männer und Frauen - vorwiegend diejenigen aus Osteuropa - durch die Deportation nach Deutschland dem Kriegsdienst in der Roten Armee und dem gnadenlosen Kampfgeschehen in ihren Heimatländern entgangen sind. Das brachte ihnen bei der Rückkehr nach Kriegsende millionenfach den Vorwurf der Kollaboration mit dem Deutschen Reich ein: Sie wurden erneut drangsaliert und deportiert -jetzt durch die eigenen Landsleute. 

Im Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen befanden sich am 15. August 1941 insgesamt 130.100 Ausländer, im August 1942 waren es bereits 188.444 und im Mai 1943 schon 242.386 (171.030 ausländische Zivilarbeiter und 71.356 Kriegsgefangene). Der Frauenanteil lag hier bei 44 Prozent. 

Von der Zwangsarbeit waren in der Hauptsache vier Personengruppen betroffen: KZ-Häftlinge, zivile Ausländer, Kriegsgefangene und Strafgefangene. Aus moralischer Sicht am verwerflichsten wurden die deportierten und zur Arbeit gezwungenen KZ-Häftlinge behandelt, die ihren baldigen Tod stets vor Augen hatten. Ihnen folgten die zivilen Ausländer, welche ebenfalls fast ausschließlich deportiert und zur Arbeit gezwungen wurden. Kriegsgefangene hingegen mussten nach der Genfer Konvention alle Arbeiten ausführen, die auch von einem Arbeiter des Siegerlandes ausgeführt wurden. Das galt nach dem Genfer Abkommen vom 27. August 1929 jedoch nur für Mannschaftsdienstgrade und für Arbeiten, die nicht den Kriegszielen des Gegnerlandes dienten. 
Fritz Sauckel hatte hingegen schon am 20. April 1942 in seinen "Allgemeinen Grundsätzen des GBA " verfügt:

Alle schon in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen, sowohl aus den West- wie den Ostgebieten, müssen, soweit dies noch nicht geschehen ist, ebenfalls restlos der deutschen Rüstungs- und Ernährungswirtschaft zugeführt, ihre Leistung muß auf den denkbar höchsten Stand gebracht werden. 

Millionen Kriegsgefangene, die so zur Arbeit in der deutschen Rüstungsindustrie gezwungen wurden, müssen demnach ebenfalls als Zwangsarbeiter angesehen werden. Strafgefangene hingegen hatten gegen geltendes Recht verstoßen und mussten daher von vornherein mit schlechterer Behandlung rechnen. Alle Zwangsarbeiterlinnen in Deutschland waren darüber hinaus oft schutzlos den alliierten Bombenangriffen ausgesetzt - die polnischen und russischen Zwangsarbeiter nach Kriegsende zudem in ihren Heimatländern der Bestrafung als Kollaborateure des Deutschen Reiches, die Frauen und Mädchen unter ihnen darüber hinaus durch sexuelle Übergriffe ihrer eigenen Landsleute.

Vorwort (Leseprobe)

Noch während der Arbeit an meiner Studie über die Geschichte der Wetzlarer Synagoge, der Mikwe und der jüdischen Friedhöfe in Wetzlar wurde mir klar, dass eine weitere, viel wichtigere Aufgabe im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Wetzlarer Stadtgeschichte zwischen 1933 und 1945 völlig ungelöst war: die Darstellung des Schicksals derjenigen jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht rechtzeitig durch Flucht der weiteren Verfolgung durch das Nazi-Regime entziehen konnten.

Nach anfänglichen Zweifeln, ob es mir als nicht in Wetzlar Geborenem zustehe, diese bedeutende Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Stadtgeschichte Wetzlars zu schließen, oder doch zumindest den Versuch dazu zu wagen, überwog die Überzeugung, dass 60 Jahre nach den Ereignissen die weitere Vertagung dieser Aufgabe nicht länger vertretbar sei. Bestärkt hat mich dabei die Tatsache, dass sich niemand in Wetzlar bisher ernsthaft dieser speziellen Thematik angenommen hatte. Einerseits hatten meine vorausgegangenen Arbeiten mir Kenntnisse über Fakten, Zusammenhänge, Hintergründe und auch über Akten- und Dokumentenbestände in zahlreichen Archiven eröffnet, die für die weitere Arbeit erforderlich waren. Andererseits wurde mir bewusst, dass Zeit- und Augenzeugen der damaligen Ereignisse, deren Erinnerung noch ungetrübt war, in immer geringerem Umfang auffindbar sein würden.

Trotz dieser Ausgangslage erwiesen sich die Nachforschungen im Einzelnen als überaus arbeitsintensiv, zeitraubend - und kostspielig. Umso dankbarer bin ich daher allen, die meine Arbeit gefördert und mit Wohlwollen begleitet haben. Dies gilt in besonderem Maße für Monica Kingreen, Fritz-Bauer-Institut Frankfurt am Main, Doktor Volker Eichler, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, und Museumsdirektor Hartmut Schmidt, Wetzlar, für kritische Durchsicht meines Manuskriptes und zahlreiche wertvolle Hinweise. Die Aufarbeitung dieses in fast jeder Hinsicht finsteren Kapitels der jüngeren Wetzlarer Stadtgeschichte hinterlässt bei mir unauslöschliche Eindrücke. Hier war eine Geschichte nachzuerzählen, deren planvolle Umsetzung grauenvoll ist. Sie basierte zum Einen auf Verharmlosung und Verschleierung, hier besonders durch »Verwaltungsdeutsch« und »Behördensprache«. So fanden sich für die Deportationen mit anschließender Ermordung in den Vernichtungslagern die Bezeichnungen »Abschiebung«, »Abwanderung«, »Aussiedlung«, »Evakuierung«, »Verschub«, »Verzug« und »Wohnsitzverlegung«. Andererseits fußte sie auf Lügen und Etikettenschwindel, auf Scheinlegalität und Legalisierung der Vorgänge. So war es nicht immer leicht für mich, bei der Darstellung die gebotene Objektivität und Sachlichkeit zu beachten. Gerade der Respekt vor den Leiden der Betroffenen erfordert aber Genauigkeit, Klarheit und Vollständigkeit des Berichts über die damaligen Ereignisse. Das war mein Ziel. Trotz des großen Leids der Betroffenen kann ich für den genannten Zeitraum
auch von Beispielen mitfühlender Anteilnahme und nachbarlicher Hilfsbereitschaft für die Wetzlarer Juden berichten - soweit die damaligen Zeitumstände diese ohne eigene Gefährdung oder Gefährdung der Nächststehenden zuließen.

Ich wünsche meiner Arbeit aufmerksame und nachdenkliche Leser.

Karsten Porezag

Wetzlar, im Juni 2006

Geleitwort Wolfram Dette 6
Geleitwort Monica Kingreen, Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt a. M. 7
Vorwort 9
Prolog 11
Einleitung 12
Zeittafel 24
1. Entrechtung und Vertreibung 32
a. Die »Entjudung« Wetzlars 32
b. »Arsierung« 37
c. »Schutzhaft« 48
d. Die fiskalische Ausplünderung 61
e. »Ghettohäuser« und die Kennzeichnung der Wohnungen 69
2. Deportation und Ermorung 75
a. Das »Sammellager Niedergirmes«, 77
b. Die Deportation vom 10. Juni 1942 8
c. Die Deportation vom 28. August 1942 114
d. Der Raub des letzten Eigentums 20
e. Die Deportation jüdischer »Mischehepartner« aus dem NSDAP-Gau Hessen-Nassau 1943 128
f. Die Verschleppung Wetzlarer »Judenmischlinge« 1943 - 1945 158
g. Die reichsweite Deportaion jüdischer »Mischehepartner« 1945 170
Schlussbemerkung 176
Personenlisten 177
Begriffsdefinitionen zum Judentum  189
Abkürzungen der häufiger gebrauchten Quellen 191
Personenregister 195
Bildnachweis 199

Steine Die Wetzlarer Synagoge, die Mikwe und die jüdischen Friedhöfe in neuerer Zeit

Mit der Deportation der letzten Wetzlarer Juden im Sommer 1943 in die nationalsozialistischen Vernichtungslager und mit ihrer anschließenden Ermordung endete die jahrhundertealte Geschichte der jüdischen Gemeinde Wetzlars. Auschwitz, Buchenwald, Majdanek, Theresienstadt, Treblinka ... Auch für Wetzlar markieren diese Ortsnamen das Ende der jüdischen Kultur. Der Zwischenaufenthalt einer großen Zahl osteuropäischer Juden in Wetzlar im Zeitraum von 1945 bis 1949 bedeutete dann nur noch ein kurzes Nachleuchten der Geschichte der Juden in unserer Stadt.

Mit dem Leben der europäischen Juden wollten die Nationalsozialisten auch für alle Zeit die Erinnerung an ihre wechselvolle Geschichte und reiche Kultur vernichten. Das wäre ihnen beinahe gelungen. Viele kleine Synagogen fielen aber nicht zwischen 1938 und 1945 dem Vandalismus der Nationalsozialisten zum Opfer, sondern erst späteren oft gedankenlosen Umnutzungen, Umbauten und Beseitigungen. Das gilt leider auch für die Wetzlarer Synagoge in der Pfannenstielsgasse.

Geblieben sind dagegen viele Gräber derer, die vorher in Wetzlar lebten und hier starben. Ihre Steine zeugen vom einst so facettenreichen jüdischen Leben in unserer Stadt. Es war ein wichtiger Teil des städtischen Lebens.

Dennoch war die Geschichte der jüdischen Gemeinde Wetzlars bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts fast unbeachtet geblieben. Herbert Flender, Stadtarchivar und Ehrenbürger der Stadt Wetzlar, beurteilte dies 1966 bei Besprechung der kurz zuvor erschienenen Arbeit von Dr. Karl Watz, "Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wetzlar von ihren Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts" folgendermaßen:

"...In allen bisherigen Veröffentlichungen über die Wetzlarer Stadtgeschichte spielt die Geschichte der jüdischen Gemeinde naturgemäß eine völlig untergeordnete Nebenrolle. Erst jetzt sieht man, wie wichtig es war, dieser Geschichte einmal volle Aufmerksamkeit und ein eigenes Werk zu widmen. Die Stadtgeschichte wird an vielen Stellen nun deutlicher, plastischer, erklärbarer. Des halb kann in Zukunft kein Liebhaber der Heimatgeschichte mehr an dieser vorzüglichen Arbeit vorübergehen, so wenig innere Freude und Befriedigung es auch auslösen kann, sich in ein solch dunkles und betrübliches Kapitel unseres geschichtlichen Werdegangs zu vertiefen.
Man wird fragen, warum die letzten hundert Jahre der Geschichte der jüdischen Gemeinde fehlen. Die Antwort kann nur lauten, daß die Quellen noch nicht genügend erschlossen sind bzw. sogar gänzlich fehlen, um eine zuverlässige Darstellung wagen zu können.
Wie dringend notwendig eine Fortsetzung bis in unsere Zeit wäre, davon ist jeder überzeugt, der die Watz 'sche Arbeit durchstudiert hat."

In der Tat hat niemand in den folgenden 38 Jahren eine umfassende Fortschreibung der neueren Geschichte der Wetzlarer jüdischen Gemeinde und ihrer Einrichtungen vorgelegt. Lediglich einige wenige Teilaspekte wurden bisher beleuchtet. Das Verständnis für die so wichtigen Ereignisse in der nationalsozialistischen Zeit wurde damit kaum angemessen geweckt, geschweige denn gefördert. Die Geschichtsschreibung zum Wetzlarer Judentum sollte sich sinnvollerweise auf die Bereiche der jüdischen Gemeinde, der jüdischen Familien und die der jüdischen Einrichtungen erstrecken. Doris und Walter Ebertz schreiben an der "Geschichte der jüdischen Familien der Stadt Wetzlar von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart". Diese Arbeit soll das Schicksal der jüdischen Gemeinde Wetzlars für jenen Zeitraum mit umfassen. Es wäre wünschenswert, wenn sie recht bald publiziert werden würde.

Während dort mehr die Menschen und ihre Schicksale im Vordergrund stehen, habe ich mich der neueren Geschichte der wichtigsten Kultuseinrichtungen und Immobilien der einstigen jüdischen Gemeinde Wetzlars zugewandt: die der Synagoge (auch: "Schule"), der Mikwe (auch Mikwah = hebräisch: Wasseransammlung = jüdisches rituelles Tauchbad) und der jüdischen Friedhöfe von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit. Auch diese verdienten eine eingehende Untersuchung. Dabei konnte ich über die weitere Erschließung bereits vorhandenen Materials hinaus eine Vielzahl neuer Quellen heben und auswerten. Sie befinden sich zum weit überwiegenden Teil außerhalb Wetzlars. Das Ergebnis dieser Arbeit soll hier vorgestellt werden. 

Karsten Porezag

Wetzlar, im August 2004