Karsten Porezag erhält das Bundesverdienstkreuz am Bande / Bergbau und Lokalgeschichte sind seine Leidenschaft
von Pascal Reeber (WNZ)
Sein Großvater gab ihm etwas drastisch mit: „Es muss immer einen geben, der die Peitsche schwingt.“ Mittlerweile ist der Enkel von damals selbst im Opa-Alter. Mit 76 erhält Karsten Porezag seine zweite Auszeichnung des Verdienstordens der Bundesrepublik – das Verdienstkreuz am Bande.
Wobei: Mit dem Erhalten ist das so eine Sache. De jure, also rein rechtlich, hat Porezag das Verdienstkreuz bereits, es wurde schon vom Bundespräsidenten verliehen. De facto, also tatsächlich, ist die Auszeichnung noch nicht übergeben, Corona wegen.
Es ist also alles etwas anders im Hause Porezag in der Lahnstraße und – sind wir mal ehrlich – das passt. Normal, konventionell, durchschnittlich, das sind keine Adjektive, die auf den Bergmannssohn aus Goslar passen. Porezag hat Ecken und Kanten und wenn man ihm sagt, dass er unbequem sei, dann wird er nicht laut, sondern nickt und sagt kurz: „Ja, das ist so.“
Aufgewachsen in Braunschweig kommt Karsten Porezag 1970 von Berufs wegen nach Wetzlar. Für die Hanse-Merkur arbeitet er im Versicherungsaußendienst, in Wetzlar zählen Leitz, Hensoldt und Zeiss zu den Kunden. Seine beruflichen Kenntnisse bringen ihm manche Ehrenämter ein, Porezag ist Schöffe am Amts- und Landgericht sowie ehrenamtlicher Richter am Hessischen Finanz- und Sozialgericht, insgesamt 14 Jahre lang.
Sein nun ausgezeichneter ehrenamtlicher Einsatz beginnt aber anderswo, unter Tage: Als 1983 die Grube Fortuna schließt, da ist für Porezag klar: Sie muss als Museum weiterleben.Er ruft zur Gründung eines Fördervereins auf, gewinnt Kommunen als Träger, organisiert Wagenmaterial für die Grubenbahn und akquiriert hunderttausende Euro. „Ich war als mittelhessischer Bettelprinz bekannt“, sagt er heute schmunzelnd.
Während seiner 31 Jahre an der Vereinsspitze sind drei Rettungsaktionen für das Bergwerk nötig. Porezag marschiert vorweg, hält die Zügel in der Hand und steuert die Fortuna durch unsichere Zeiten. Die Peitsche geschwungen? Das wäre wohl übertrieben. „Ich habe nur gehandelt, wenn der Vereinsvorstand mehrheitlich zugestimmt hat. Ich bin vorweggegangen und habe in 95 Prozent der Fälle Erfolg gehabt.“ Das gilt nicht minder für die zweite „Baustelle“: Auch der Grube Malapertus in Niedergirmes droht das Aus, Porezag gründet auch hier einen Förderverein.
Freunde macht er sich mit seiner direkten Art nicht überall. Ein Zitat Oscar Wildes kommt Porezag in den Sinn. „Jeder neue Erfolg verschafft dir einen Feind. Wer beliebt sein will, muss ein unbedeutender Mensch sein.“ Der 76-Jährige hält kurz inne, lässt das Zitat wirken. „Ich kann das aus meiner Lebenserfahrung zehnfach bestätigen.“
Historiker – diese Bezeichnung auf Porezags Visitenkarte belegt eine zweite Säule seines Engagements. 17 Bücher hat er verfasst, viele über Bergbau, über den Zweiten Weltkrieg und die Beteiligung der hiesigen Industrie an der Waffenproduktion. Auch hier ist er unbequem.
„Mit dem Buch über Zwangsarbeit in Wetzlar habe ich Majestätsbeleidigung begangen“, sagt er rückblickend. Porezag erzählt darin, dass Leitz, Buderus und andere Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigten, ein bis dahin eher unbeleuchteter Aspekt der Geschichte. „Es gibt die alte herrschende Bürgerklasse hier in Wetzlar, die haben versucht, alles zu verhindern, was ihrem Ruf schaden könnte.“ Doch Porezags Bücher, meist mehrere hundert Seiten stark, sind gespickt mit Fußnoten und Verweisen. „Mich hat bei meinen 17 Büchern keiner anschießen können“, sagt er stolz. Doch woher kommt es, das Interesse an so vielen verschiedenen Themenfeldern? „Ich habe immer Dinge gefunden, die noch keiner bearbeitet hatte“, erklärt er. Zwangsarbeit und die Geschichte der Juden in Wetzlar waren zwei davon. „Es waren heiße Eisen, für die die Platzhirsche hier in der Stadt zu feige waren.“
Dass er als Auswärtiger unter besonderer Beobachtung stand und steht, ist dem 76-Jährigen bewusst. „Mir hat keiner geholfen, im Gegenteil. Ich habe immer die ganze Phalanx gegen mich gehabt. Die haben immer nur darauf gewartet, dass sie mich anschießen konnten.“
Porezag sieht durchaus Vorteile darin, als „Zugereister“ an lokale Themen zu gehen. „Man geht unvoreingenommen an die Arbeit“, sagt er. Der Nachteil? Man muss sich intensiv einarbeiten.„Aber das zwingt dazu, genau zu sein. Sein zu müssen.“
Eine wichtige Person auf diesem Weg ist der frühere Stadtarchivar Herbert Flender. Als Porezag etwas über die Fortuna schreiben will, wendet er sich an diesen. „Flender hat mich angefüttert. Er hat gesagt: Sie sind genau der Richtige für diese Arbeit.“
Und die macht ihm noch heute Spaß. Mit 76 sind die Ziele dabei nicht kleiner geworden. „Ich korrigiere gerade die Weltgeschichte“, sagt er. „Naja, jedenfalls im Bereich der Technik.“
Porezag forscht gerade über den Franzosen Denis Papin, der als erster das Prinzip der atmosphärischen Dampfmaschine entdeckte. 2021 soll das Buch erscheinen. 2022 ist eine „dicke Publikation“ über die Wetterlampen im Bergbau geplant. Rente im Hause Porezag? Aktuell nicht in Planung.
Noch mehr wäre zu erwähnen, zum Beispiel die Arbeit von Monika und Karsten Porezag in der Initiative, die zur Verlegung der ersten Stolpersteine führte. Die Sanierung des mittelalterlichen Brauhauses, in dem das Ehepaar lebt. Oder eben die Verleihung der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, mit der der Staat 1991 das ehrenamtliche Engagements Karsten Porezags würdigte.
Nun also Ehrung Nummer zwei, das Verdienstkreuz am Bande. Der Kreisbeigeordnete Heinz Schreiber (Grüne) hat Porezag vorgeschlagen. Der wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch in der Würdigung der Auszeichnung etwas unbequem wäre. „Nur ein geringer Prozentsatz der Verdienstkreuze werden an Nicht-Politiker verliehen“, sagt Porezag. „Daher bin ich sehr stolz.“ Und fügt an: „Wer zehn Jahre in der Politik tätig ist, kriegt oft schon ein Verdienstkreuz. Das mindert den Wert dieses Ordens doch sehr.“ Doch damit genug der unbequemen Wahrheiten. In Porezags Worten: „Nu isses jut.“